Anteil des Bauwesens (Quelle: Zentrum Ressourceneffizienz)

Der Bausektor in der Klimakrise

Die Klimakrise ist zurzeit präsent wie noch nie zuvor, täglich berichten die Medien über die Folgen oder von den Versuchen, diese zu mildern. Das Thema durchdringt mit seinen Facetten alle unsere Lebensbereiche, die dadurch ausgelösten Veränderungen sind bereits heute messbar, die Folgen bezifferbar, anhand von Ereignissen spürbar: Die Klimakrise ist jedoch vor allem eine Krise der Menschheit, das Klima selber kommt ohne uns ganz gut zurecht, wir aber nicht ohne diesen schmalen Temperaturbereich knapp oberhalb des Taupunktes unseres wichtigsten Lebensmittels, des Wassers.

Von einem stabilen CO2-O2-Haushalt, einer stabilen UV-Strahlung, von funktionierenden Naturräumen, die ausreichend große Ökosysteme zur Umwandlung von CO2 in O2 ermöglichen, von genügend verfügbaren Wassers usw. hängt unser Überleben auf diesem Planeten ab.

Es fällt im öffentlichen Diskurs jedoch auf, dass bestimmte Themen ignoriert werden, ähnlich wie der Elefant im Raum, über den nicht gesprochen wird, obwohl offensichtlich ist, dass er vorhanden ist. Zurzeit wird der Temperaturanstieg durch den unverminderten Ausstoß klimarelevanter Gase1 mit dem Fokus auf der Verbrennung fossiler Rohstoffe als dringendstes Problem angesehen. Wegen der enormen Folgen, inklusive der Annahme von Kipp-Punkten, ist es das allgemein vereinbarte Ziel, eine Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5°C herbeizuführen –das Pariser Abkommen von 2015 (COP21). Diese Zahl steht für die Annahme, dass die damit verbundenen Veränderungen für die Menschheit insgesamt noch zu bewältigen wäre.

Aber: Wird denn da nicht schon genug gemacht, höre ich sagen

Die Verkehrs- und Energiewende sind in aller Munde und selbst im Bausektor reglementieren wir den Neubau, fördern die Bestandssanierung, müssen sogar beim Austausch von Heizkesseln den Einsatz erneuerbarer Energie nachweisen, ständig steigen Anforderungen und die Lage wird für Laien, selbst für Fachmenschen zunehmend unübersichtlicher.

Hier ist ein kurzer Abstecher in die vergangenen 50 Jahre zum Verständnis hilfreich: Mit der Veröffentlichung seines Berichts „Die Grenzen des Wachstums“ hat der Club of Rome 1972 auf die Folgen des ungebremsten Wachstums der fossilen Wirtschaft und die Risiken hingewiesen. Originär haben sogar Erdölkonzerne selbst das Problem eines unkontrollierten Anstiegs von Treibhausgasen erkannt und erforscht, letztendlich dann aber vertuscht (vgl. Bernd Froehlich „Flache Lernkurven…“, Holznagel 5/21).

Die Ölkrisen Anfang der 1970er zeigten uns die Abhängigkeit auf, in der wir uns befanden. Als Reaktion entstanden unter anderem Regelwerke zur Erfassung und Regelung des Energieverbrauchs in Gebäuden.

1980 gründet sich erstmals eine Partei, die Umwelt- und Klimaschutz zum zentralen Thema ihrer Agenda macht

1997 werden mit dem Kyoto-Protokoll zum ersten Mal völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Treibhausgas-Ausstoß definiert

2000: Erneuerbare-Energien-Gesetz: Erstmals eine nationale Regelung zur Förderung nachhaltiger Energieerzeugung

2001 tritt in Deutschland die Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden, kurz Energieeinsparverordnung, noch kürzer EnEV in Kraft. Hier werden die Vorschriften zweier Regelungsbereiche in einer zusammengefasst

2015 einigt sich die Welt im Pariser Abkommen auf die Einhaltung des 1,5°C-Ziels

Aber: Was geschah seither auf der messbaren Seite?

Bei der medialen Präsenz der Verkehrswende und der Energiewende sieht es danach aus, als sei das Thema in den Köpfen der Entscheider*innen angekommen! Und dennoch verfehlt Deutschland regelmäßig seine selbst gesteckten Klimaschutzziele. Woran liegt das?

Sehen wir uns zunächst an, ob der Bausektor zurecht selten im Fokus steht und vor allem in den Statistiken zum Großteil nur versteckt erscheint.

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) stellt in der obigen Grafik die CO2-Emissionen dar, die durch den Betrieb, also z.B. die Nutzung der Heizungs- und Klimaanlagen, anfallen (orange Û 15%). In den Kategorien Energie, Industrie und Verkehr sind jedoch noch weitere Emissionen enthalten, die z.B. im Verkehr entstehen, weil ein Mauerstein hergestellt wird und ihn ein LKW von Süd- nach Norddeutschland transportiert. Rechnet man nun alle energiebedingten CO2-Emissionen zusammen, die den Bausektor betreffen, kommen wir schon auf 40%. Diese 40% lassen sich unterteilen in CO2-Emissionen, die für den oder im Bauprozess anfallen und in CO2-Emissionen, die durch den Betrieb entstehen: 10% für den Bau und 30% für den Betrieb2.

99% der von Menschen verarbeiteten Materialien sind in Bauwerken gebunden (Quelle: Umweltbundesamt:„Urban Mining“, 2017)
Bis zu 60% unseres Abfallaufkommens besteht aus Bau- und Abbruchabfällen (Quelle: UBA, 2018)

Aber: Ist da nicht noch mehr als nur der Energieverbrauch?

Ja natürlich! Denn dieser Anteil von heute 10% Energie, die wir fürs Bauen aufwenden, wurden ja bereits in den letzten, sagen wir mal grob 500 Jahren erbracht – und zwar jedes Jahr3! Denn Jahr für Jahr haben unsere Vorfahren Materie kumuliert, gefügt, veredelt – das, was wir heute unser bauliches Erbe nennen, die Städte, Dörfer mit ihren Bauwerken, Infrastrukturen und Außenanlagen.

Dazu zählen nicht nur herausragende Denkmale, sondern eine Vielzahl von profanen, alltäglichen, ja vielleicht unbedeutenden Gebäuden. Die aber alle zusammen unsere gebaute Umwelt prägen – unsere Sehgewohnheiten, unser Schönheitsgefühl für gebaute Umgebung beeinflusst und geschult haben. Man könnte auch sagen, dass Deutschland bereits gebaut ist. Dennoch geht der Flächenverbrauch unvermindert weiter, obwohl die Bevölkerung in Deutschland stabil bis eher rückläufig ist. Es stehen Ortskerne leer, während rundherum neue Einfamilienhaussiedlungen entstehen4.

In einer Welt mit endlichen Ressourcen und Flächen klingt das nicht nur absurd, das ist es auch. Ein Grund ist der Wunsch nach mehr Fläche pro Person, so dass wir inzwischen von einem Rebound-Effekt sprechen. Die Energie, die wir durch bessere Gebäudedämmung einsparen, verbrauchen wir wieder, weil wir insgesamt mehr Fläche pro Kopf beheizen, kühlen, beleuchten müssen.

Der tägliche Flächenverbrauch in Deutschland5 liegt daher auch immer noch bei 58 ha, also ungefähr 58 Fußballfeldern. Bei der Erweiterung von Siedlungsraum heißt das: Diese bislang meist landwirtschaftlich genutzten Flächen sind oft unwiederbringlich verloren. Eine weitere Folge unseres Flächenverbrauchs durch mehr Wohnraum ist weiterer Flächenverbrauch, der durch den Abbau der benötigten Rohstoffe entsteht.

Fast das gesamte Material, das wir abbauen, ist in Gebäuden und in Infrastrukturprojekten gebunden. So waren 2010 geschätzt 28 Mrd. t im anthropogenen Lager6, also 341 t/Person, bei einem jährlichen Zuwachs von 10 t/Person. Diese enormen Mengen werden unter Landschaftsverbrauch hergestellt, der in der obigen Zahl zum Flächenverbrauch nicht enthalten ist. Die Bautätigkeit für Neu- und Ersatzbauten führt aber auch zu erheblichem Abbruch. Da dies in einem linearen Wirtschaftssystem geschieht, fällt ein großer Teil der Materialien am Ende als Abfall an. Das sind in Deutschland pro Jahr mehr als 200 Mio. t mineralische Abfälle (UBA, 2018), während wir gleichzeitig unter Landschaftszerstörung riesige Mengen Sand und Kies als Primärmaterialien gewinnen und verbauen.

Laut Statistik und im offiziellen Sprachgebrauch wird der größte Anteil des Abbruchs recycelt. Allerdings ist das kein „echtes“ Re-Cycling, sondern ein Down-Cycling, bei dem bis auf wenige Ausnahmen die Qualität der Ausgangsstoffe nicht erreicht werden kann, und die Stoffe in minderwertigere Nutzungen fließen. Denn die größte Herausforderung für eine Kreislaufwirtschaft ist die sortenreine Trennung nach Abfallarten. Man denke an verklebte Polystyrol-Dämmung, mit Flammschutzmitteln und Putzschicht darauf.

Beim konventionellen Bauen ist es daher nicht verwunderlich, dass das allermeiste davon nach dem Ende der Lebensdauer als Müll anfällt, was dazu führt, dass an die 60% unseres Abfallaufkommens aus Bau- und Abbruchabfällen besteht, das allermeiste davon landet in Mülldeponien und in Verbrennungsanlagen.

Trotz einiger Anstrengungen des Landes findet die Entsorgung also derzeit leider noch überwiegend als Down-Cycling statt. Von einer Kreislaufwirtschaft sind wir leider weit entfernt, und die erheblichen Mengen an Energie, die in diesen Gebäuden enthalten war, gehen verloren.

Fassen wir kurz den Anteil des Bauwesens an unserer Klimakrise zusammen, so wie er von öffentlichen Organisationen ermittelt wurde: Es ist verantwortlich für:

  1. 40% der CO2-Emissionen
  2. 35% des Energieverbrauchs
  3. 90% des Rohstoffverbrauchs7 und
  4. 60% des Müllaufkommens.

Dieser erhebliche Einfluss auf unsere Klimabilanz wird von der Öffentlichkeit gerade erst entdeckt. Es ist der erste Elefant im Raum, über den man bisher nicht gesprochen hat.

Diese Unsichtbarkeit spiegelt sich auch in der Wahrnehmung durch Vorschriften wider: Der Lebenszyklus eines Gebäudes besteht – wie bei anderen Produkten auch – aus der Produktionsphase, der Nutzungsphase und schließlich nach Ablauf der „Lebenszeit“ der Entsorgungsphase.

Im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes wird lediglich der kleine markierte Bereich durch harte Vorschriften in Form des GEG, vormals EnEV, geregelt. Zur Produktionsphase gibt es lediglich eine allgemeine amtliche Datenerhebung und die Vorschriften zur Entsorgungsphase verdichten sich derzeit in der Erfassung der Stoffe im Abbruchfall und deren korrekte Entsorgung.

Alles andere ist derzeit hinter weichen Kann-Regelungen „versteckt“, wie etwa der allgemeinen Forderungen nach schonendem Umgang mit unseren Lebensgrundlagen oder „umweltschonendem Einsatz“ des Baumaterials usw.8 Dieser entscheidende Faktor, den wir längst kennen, aber immer noch nicht ausreichend beachten, ist die Graue Energie9 und die Grauen Emissionen, die durch die Herstellung, den Transport, den Bau und Rückbau, die Entsorgung eines Gebäudes entstehen.

Welchen Anteil haben nun diese Emissionen? Wieviel machen sie im „Lebenszyklus“ aus? Je nach Bauart macht diese Energie bis zu 50 % 10 des Gesamtenergiebedarfs aus, wenn man eben nicht nur den Betrieb, sondern den gesamten Lebenszyklus betrachtet. Das ist eindeutig zu viel, um wegschauen zu können!

Damit wir uns das in einem kleineren Maßstab vorstellen können, haben wir ausgerechnet, was das bei einem alltäglichen, dörflichen Gebäude ausmacht. Solche Berechnungen sind komplex, und die Gebäude natürlich alle unterschiedlich, aber es lässt sich sagen, dass man mit der in diesem auf der nächsten Seite abgebildeten Haus11 enthaltenen grauen Energie ein Einfamilienhaus 10 Jahre beheizen kann. Und zwar mit Gas !

Das gezeigte Beispiel enthält kaum Beton. Ist dieser vorhanden steigt die enthaltene graue Energie an, denn die Herstellung von Stahlbeton ist mit einem erheblichen Klimaerwärmungs-Potential verbunden. Für ein vergleichbares Bauvolumen aus den 1960ern sähe diese Bilanz schon schlechter aus: Mit der enthaltenen und durch einen Abriss entzogenen grauen Energie könnte man schon 10 bis 15 Einfamilienhäuser 10 Jahre lang beheizen.

Der Lebenszyklus eines Gebäudes: Nur die Nutzungsphase wird „gesehen“!

Deswegen ist unsere allererste Position: Das neue Bauen heißt nicht mehr neu bauen!

Denn bei allen Bemühungen zur Rohstoffeinsparung, zur Energieeffizienz im Betrieb, der größte Hebel liegt darin, die Graue Energie zu wahren, sprich:

  1. nicht abzureißen, sondern den Bestand weiterzunutzen,
  2. Leerstand umzunutzen,
  3. aufzustocken und nachzuverdichten,
  4. statt immer mehr graue Energie zu vernichten, immer weiter Fläche zu versiegeln, neue Rohstoffe abzubauen und neuen Müll zu produzieren.

Aus diesem Grund fordert Architects For Future Deutschland e.V. (A4F) gemeinsam mit namhaften Unterstützern die Einführung einer UMbauverordnung, damit diese lebenswichtigen Dinge nicht mehr dem Zufall überlassen bleiben, sondern endlich eine öffentliche Forderung werden.

Denn: Deutschland ist bereits gebaut!

Der jahrelange Fokus der Politik auf den kleinen Aspekt der Energieeffizienz ist vor dem Hintergrund dieser Fakten ein augenscheinlicher Mangel an Realitätswahrnehmung: Während die Bestandsförderung als grundsätzlich sinnvoll gelten kann, war die ambitionslose Förderung für den Neubau eine staatliche Klientelpolitik, die zu mehr Flächen- und Ressourcenverbrauch geführt hat – aber auch zu einem Neubauzuwachs, der in kurzer Zeit selbst zum Sanierungsgegenstand wird.

Das hat nicht davon abgehalten, diese Maßnahmen als klimapolitisches Handeln zu verkaufen: Seht her, wir tun etwas. Die ernüchternde Erkenntnis, dass das aber weder ausreichend noch im Ansatz zielführend ist, führt zu einer weiteren, einem Phänomen, das sich wie ein roter Faden durch das ganze Thema der Klimakrise zieht – dem zweiten Elefanten im Raum: Greenwashing.

Das Konzept ist leider weit verbreitet und manchmal nur mit Insiderwissen zu demaskieren. Es findet in großem, wie in kleinem Maßstab statt. Regierungen gelingt es so beispielsweise, nationale CO2-Budgets elegant schön zu rechnen. So hat die schwedische Journalistin Maria Urisman Otto in einem 2022 veröffentlichten Bericht12 nachgewiesen, dass gut drei Viertel der Emissionen aus der schwedischen CO2eq-Bilanz herausgerechnet werden, um hinterher bei der bekannten Zahl von 50 Mio. Tonnen CO2eq zu landen. Da sich die staatlichen Anstrengungen „Nettonull bis 2045“ auf dieses verbleibende Viertel konzentrieren, sind sie nicht annähernd ausreichend, um das Pariser Klimaziel von 1,5°C zu erreichen. In anderen Staaten dürfte ein ähnliche Praxis gängig sein. Zum Glasgower Klimagipfel (COP26) wies die Washington Post auf eine erhebliche Diskrepanz zwischen den offiziellen und den tatsächlichen Emissionszahlen hin: Tatsächlich liegt die weltweite Emission an CO2eq um 8,5 bis 13,3 Milliarden Tonnen pro Jahr höher, als der UN gemeldet wird. Das macht 16% bis 23% aus, ein Anteil, den etwa China inoffiziell ausstößt.

Die Versuche einer Dekarbonisierung der Wärmeversorgung setzt vieler Orten auf Biomasse, in der Regel ist Holz in Form von Pellets oder Hackschnitzeln gemeint. So werden derzeit große Kraftwerke mit Leistungen im dreistelligen Megawattbereich13 auf Holzbiomasse umgestellt.

Durch die EU-Mitigationsrechnung14 ist möglich, sich den Einsatz von Biomasse auch noch zur Minderung der eigenen Emissionen anrechnen zu lassen: Damit war es Dänemark möglich, seine CO2-Bilanz so extrem zu verbessern, dass es im internationalen Ranking CCPI Platz 4 einnehmen konnte (die Plätze 1-+3 sind nicht vergeben)15.

Doch wo kommt dieses Holz her? In den Exportländern Kanada und den USA werden dafür boreale primäre Regenwälder abgeholzt16. Doch auch in regionalem Maßstab werden Biomasse-Kraftwerke als Erfolg gefeiert, so beim Heizkraftwerk des Universitätsklinikums Tübingen, das 2013 den Betrieb aufnahm. Seinen Bedarf von 80.000 SRm kann nur zu 300 SRm aus dem eigenen Wald gedeckt werden, der Rest muss aus der Region bezogen werden. Für den Landkreis bedeutet das, dass 60% des jährlichen Hiebsatzes – bei angenommener hälftiger stofflicher Nutzung – für dieses Kraftwerk benötigt werden.

Woher das Holz nun auch immer kommt, solche großen Verbraucher entwickeln regional, aber auch überregional eine enorme Staubsaugerwirkung, und beeinflussen den Holzmarkt negativ. Denn solange es keine verbindlichen Regeln gibt, ist eine nachhaltige Nutzung unserer Wälder nicht mehr sicher. Dabei ist eine stoffliche Nutzung des Holzes der Verbrennung vorzuziehen, wenn es darum geht CO2 aus der Luft zu entfernen und in einem CO2-Speicher einzulagern. Dazu bedarf es aber funktionierender Ökosysteme, deren Lebensfunktion durch unsere Nutzung nicht massiv beeinträchtigt werden.

Hier zeichnet sich momentan aber vielmehr eine Verschärfung der Konkurrenzsituation der Nutzungsansprüche an den Wald ab: Zwischen Bauholz, Energieholz und Walderhalt zur Klimarettung haben die ersten beiden stets die besseren Karten, solange es in unserem Wirtschaftssystem so einfach ist, durch politische Entscheidungen (Umbau Großkraftwerke) Staubsaugerwirkungen zu entfalten, die bis nach Kanada und in die USA reichen.

Anstatt die CO2-Emissionen durch das konsequente Vermeiden fossiler Brennstoffe und durch Stärkung und Ausbau von Kohlenstoffsenken drastisch zu reduzieren, werden vielfach auch technische Lösungen propagiert – allen voran DAC17, CCS18 und deren Kombination zu BECCS19. Es geht um die Entnahme des zuvor in die Luft gebrachten CO2 durch technische Großanlagen, um es umzuwandeln und verwenden (Kraftstoffe) oder speichern zu können. Das technische Problem dabei ist vor allem, dass die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre trotz der Auswirkungen auf das Klima so gering ist: Sein Anteil liegt mit 0,0407% nur um Faktor Acht über dem Spurengas Neon aber um etwa das 20-fache unterhalb des Edelgases Argon20.

Die „Suche“ nach einem solchen Teilchen in unserer Luft vergleicht Rob Jackson vom Stanford Woods Institute for the Environment in seinem Beitrag zum Klimabuch von Greta Thunberg mit der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. So ist dann auch der Einfluss dieser Technik, auf die so viel Hoffnung gelenkt wird, nicht besonders groß. Im Herbst 2021 nahm in Hellisheidi auf Island die weltweit größte DAC-Anlage ihren Betrieb auf. Der US-Klimaforscher Peter Kalmus hat nachgerechnet, dass sie von den jährlichen CO2-Emissionen etwa drei Sekunden abscheidet21 – also 3 von 1.982.160.000 Sekunden (!).

Erstaunlich, welche Verrenkungen angestellt werden, um das einfache Ziel der CO2-Vermeidung zu umgehen. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass diesen Technologien eine Bedeutung zukommen wird, allerdings wird das in den Tagesmedien selten in ein richtiges Verhältnis gesetzt: Ich meine, die drei Sekunden würden für sich sprechen.

Der Grund für diese Greenwashing-Aktionen liegt in der Lebenslüge deutscher Politik, aber auch der anderer Länder, die den Menschen jahrzehntelang vorgaukelte, und es immer noch tut, es wäre eine Transformation hin zu einer klimaneutralen Lebens- und Wirtschaftsweise möglich, ohne massiven Eingriff in unseren Lebensstil. Durch diese Hütchenspieler-Tricksereien sind wertvolle Jahrzehnte fast ungenutzt verstrichen, die jetzt bitter fehlen. Denn ein Gegenlenken wird jetzt umso stärkere Ausschläge erfordern.

Auffallend beschämend ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Medien, die oft mit sehr geringer Tiefe und unterkomplex über die Sachverhalte berichten. Ein junges Beispiel ist der Umgang mit der 65% EE-Gesetzesinitiative des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck: Hier wird der Eindruck eines Alleingangs erweckt, dabei wurde das Konzept im Koalitionsvertrag für 2025 beschlossen und dieses Datum per Kabinettsbeschluss auf 2024 vorgezogen. Auch gelten die kolportierten Verbote fossiler Wärmeerzeuger nicht für Bestandsanlagen. Die Angelegenheit muss erst tagelang in Form aufgeregter Statements für entsprechende Entrüstung sorgen, bevor – vielleicht – eines der großen Medien in die Tiefe geht. Wem nützt solches?

Die Gefahr, die von Greenwashing ausgeht, ist vor allem in Ihrer Ablenkungswirkung zu sehen. Es lenkt davon ab, dass vor allem westliche Lebensstile grundlegend geändert werden müssen, um zu wirksamen Klimamaßnahmen zu kommen. Indem Scheinlösungen präsentiert werden, die entweder verschleiern, dass für einen Erfolg bei uns andernorts Ressourcen vernichtet werden (Biomasse im großen Stil) oder die Erfolge in einem technischen Wunderland liegen, wie E-Fuels oder unrentablen Entnahmetechniken.

Alles möglicherweise kleine Beiträge zum Thema, aber wenn daneben die eigentlichen Probleme liegen bleiben, eben keine Lösungen. Oder wie Greta Thunberg in Ihrem Klimabuch schreibt: Wenn die Wanne überläuft, holst du kein Handtuch oder Eimer, sondern das Erste, was du machst, ist den Hahn zudrehen [Quelle: 12), Endnote G].

Bäuerliches Wohnhaus mit Scheune: Mit der hier enthaltenen grauen Energie kann ein Einfamilienhaus ca. zehn Jahre mit Gas beheizt werden. © Bodo Schanzenberger

Aber: Was können wir jetzt tun?

Als Verbände müssen wir uns gegen Greenwashing und Vernebelungsversuche wehren und öffentlich dagegen Stimme erheben. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass klima- und umweltbewusstes Erhalten und Sanieren nicht individuelle Entscheidung bleiben, so wie bisher. Die Weiternutzung und Sanierung von Gebäuden, die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen, wie Holz, Stroh oder Lehm ist bislang nicht ausreichend gefördert, eine Entscheidung zu ihrer Nutzung, aus Kostengründen oft nur wenigen möglich.

Vor allem muss dazu der Gebäudebestand besser geschützt werden, Abriss muss begründet werden, die Messlatte dazu muss hoch liegen. Denn: Gebäude sind der größte volkswirtschaftliche Wert in Deutschland. Das dazu erforderliche baukulturelle Umdenken tut unseren Stadt- und Ortskernen gut und führt zu erheblich weniger Treibhausgasemissionen.

Das sieht bisher leider anders aus: Bestand wird oft abgerissen, um größer proportionierten Gebäuden Platz zu machen. Die Entscheidungen dazu sind wirtschaftlicher Natur, die ökologischen Folgen sind hier nirgends eingepreist. Ersatzbauten, die größere Rendite abwerfen, sind wirtschaftlich gesehen oft zwangsläufig erforderlich, da die teilweise exorbitant hohen Preise für Bestandsimmobilien an die Bodenpreisentwicklung gekoppelt sind.

Neubau muss jedoch die Ausnahme werden. Wird er notwendig, zeichnen sich drei Hauptforderungen ab: Wir müssen den Rückbau bereits beim Bauen mitplanen und kreislaufgerecht bauen und im Nachweisverfahren die Stofflichkeit mit einbeziehen und giftfreie und nachwachsende Rohstoffe verwenden.

Das in der Errichtung sparsamste Gebäude ist jedoch das, das nicht mehr gebaut werden muss.

1 Bei den im Kyoto-Protokoll erfassten klimarelevanten Gasen handelt es sich um Kohlendioxid (CO2), das als Referenzwert dient, Methan (CH4), Distickstoffoxid (Lachgas, N2O), fluorierte Treibhausgase (F-Gase), die aufgrund ihrer Verweildauer in der Atmosphäre ein größeres Treibhauspotenzial aufweisen: teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (H-FKW/HFC), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW/PFC), Schwefelhexafluorid (SF6) und seit 2012 auch Stickstofftrifluorid (NF3). Die Treibhauswirksamkeit ist sehr unterschiedlich: Sie beträgt bei Methan Faktor 25, bei Lachgas 298 und Schwefelhexafluorid 17.200 – jeweils bezogen auf CO2

2 Nicht leicht vorstellbar, dass die Betriebsemissionen so viel höher sind, aber in Deutschland sind circa zwei Drittel aller Gebäude vor 1977 gebaut worden, also vor dem ersten Wärmeschutz- und Energieeinspargesetz. Allein diese Gebäude sind zum Großteil gar nicht oder nur wenig gedämmt, verbrauchen also im Betrieb viel Energie. Momentan reden wir hier vorwiegend von der Heizung, aber künftig werden erheblich mehr dieser Gebäude Schwierigkeiten bekommen im Sommer die gewünschte Innentemperatur halten zu können.

3 Wenn auch mit anderen absoluten Zahlen und vermutlich anderen Anteilen am Gesamtgeschehen

4 In der Literatur oft bildhaft als Donut-Effekt beschrieben

5 Die beiden letzten Generationen haben so viel Fläche verbraucht, wie die 80 Generationen davor seit Beginn unserer Zeitrechnung

6 Anthropogenes Lager = Menschengemachte Stoffkreisläufe

7 Nach anderen Quellen nur 40%,. Allerdings scheint diese Zahl international zu sein und kann nicht geprüft werden.

8 Beispielhaft: BauGB § 1a Ergänzende Vorschriften zum Umweltschutz (2) Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Landwirtschaftlich, als Wald oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang umgenutzt werden.

Beispielhaft aus der LBO Baden-Württemberg: § 3 Allgemeine Anforderungen. (1) Bauliche Anlagen […] sind so anzuordnen und zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden […]. Für den Abbruch baulicher Anlagen gilt dies entsprechend. (!)

9 Die graue Energie steht für die Summe nicht erneuerbarer Primärenergie, die für alle vorgelagerten Prozesse – dazu gehören der Rohstoffabbau sowie Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse – und für den Rückbau sowie die Entsorgung erforderlich ist, einschließlich der dazu notwendigen Transporte und Hilfsmittel. Anders gesagt, der kumulierte, nicht erneuerbarer Energieaufwand. Quelle: DUH, 2021

10 Bis zu 50% des Gesamtenergieverbrauchs eines Gebäudes fallen an, bevor dieses in den Betrieb geht. Quelle: DUH, 2021

11 Bäuerliches Wohnhaus mit Scheune-/Stallanbau, ca. 1890-1940, Naturstein-/Ziegelmauerwerk, Fachwerk mit Natursteinausmauerung, Holztragwerk, kein Beton! Grundmaße: 8 auf 12 m, Höhe 8 m. Die überschlägige Berechnung beruht auf dem Werkzeug von pr-architekten, München. www.pr-architekten.de/post/abbruch-verhindern

12 Das Klima-Buch von Greta Thunberg, Der aktuellste Stand der Wissenschaft unter Mitarbeit der weltweit führenden Expert:innen, Thunberg, Greta, Fischer, S. Verlag GmbH: Die Wahrheit über staatliche Klimaziele, Alexandra Urisman Otto.

13 Avedøre, Kopenhagen, (790 MW), Amager (850 MW ) Studstrup (900 MW) Dänemark. Kraftwerkskomplex DRAX / North Yorkshire / UK, 4 Blöcke mit 2,6 GW, jährlicher Bedarf ca. 6 Mio. t (Pellets), UK lässt sich dafür ca. 90 Mio. t CO2 Äquivalente als Mitigationsleistung anrechnen. Steinkohle-Großkraftwerk ONYX in Wilhelmshaven: Werkleistung 731 MW; ONYX plant den Umbau auf eine reine Holzverbrennung; Jahresbedarf ca. 3 Mio. t Pellets.

14 mitigation measures = Linderungsmaßnahmen

15 https://newclimate.org/resources/publications/theclimatechangeperformanceindex2022

16 Anzac Valley Prince George / BC) https://news.mongabay.com/2022/09/britishcolumbiadelayspromisedprotectionsasoldgrowthkeepsfalling/

17 Direct air capture (DAC) ist ein Verfahren zur Gewinnung von Kohlenstoffdioxid (CO2) direkt aus der Umgebungsluft

18 Carbon (Dioxide) Capture and Storage, CO2-Abscheidung und -Speicherung, die Abscheidung von CO2 in einem Kraftwerksprozess und anschließende Speicherung in geologischen Strukturen.

19 bioenergy with Carbon capture and storage, daher abgekürzt BECCS) bezeichnet ein Verfahren der CO2-Abscheidung und -Speicherung, bei dem Biomasse in industriellen Prozessen verbrannt wird, um das dabei entstehende Kohlenstoffdioxid anschließend abzuscheiden und zu speichern. BECCS gilt im Rahmen der Klimakrise als theoretisch notwendiges Verfahren, um in den wenig ambitionierten Szenarien noch das Zwei-Grad-Ziel aus dem Übereinkommen von Paris zu erreichen. Aufgrund einer Vielzahl von zu erwartenden Problemen in Bezug auf Flächenverbrauch, Biodiversität usw. ist in der Forschung umstritten, ob und inwiefern BECCS-Anlagen tatsächlich in der Lage sein werden, große Mengen negativer Emissionen zu realisieren. Quelle zu 17 - 19 jeweils Wikipedia-Artikel

20 Angabe natürlicher Durchschnittswert in Vol.-%. Aktuell liegt er bei 0,0422%, bis 2050 gilt ein Anstieg auf 0,053 Vol.-% als gesichert (IPCC 2022). Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Luft

21 https://de.wikipedia.org/wiki/Direct_air_capture

Bodo Schanzenberger, IgB und Architects for Future

aus: HN 5/2023

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